
„Gemäß der buddhistischen Tradition stellen gute Freunde alles dar, was man braucht, um den Pfad zum Erwachen zu kultivieren.“ (Kalayanamittasutta, Samyutta Nikaya).
So wie die erste Morgendämmerung den Sonnenaufgang ankündigt, so ist die Freundschaft mit edlen Wesen ein Vorbote für alles Positive auf unserem Weg zum Erwachen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass freundschaftliche Verbindungen zu erfahrenen Dharma-Lehrern eine entscheidende Unterstützung waren, in meinem Bestreben, ein besserer Mensch zu werden. Die Begegnung und das Zusammenleben mit ihnen hat mein Verhalten tief beeinflusst.
Meine Bekanntschaft mit den buddhistischen Lehren erfolgte in erster Linie durch das Studium der Pali-Sprache und des als Tipitaka bekannten Pali-Kanons. Die Lehre des Theravada-Buddhismus legt den Schwerpunkt auf persönliche Disziplin und theoretisches Wissen über die buddhistische Philosophie. Während meines längeren Aufenthalts in Taiwan hatte ich die Gelegenheit, in der Nähe des Zen-Lehrers Meister Shen Yen zu leben. Die Nähe zu ihm eröffnete mir ein direktes Verständnis des Mahayana-Buddhismus, der eine ideale Kombination aus rationaler und intuitiver Auslegung der buddhistischen Praxis beinhaltet. Wenn beide Aspekte in einem Menschen harmonisch ausbalanciert sind, kann er in alltäglichen Situationen richtig und effektiv reagieren. Zen-Meister Shen Yen war das beste Beispiel für eine derart harmonisch ausgeglichene Persönlichkeit. Dank seiner beständig achtsamen Präsenz konnte er alle um ihn herum positiv beeinflussen. Ich erkannte, dass Mahayana-Praktizierende lernen sollten, ihre persönliche Praxis der Ruhe und Einsicht mit dem zu verbinden, was nützlich und hilfreich für andere ist. Um dies zu erreichen, studieren sie Yoga, Philosophie, Logik, Medizin, Kunst, Handwerk und vieles mehr.
Im tibetischen Buddhismus finden wir die ideale Kombination all dieser Aspekte, die sowohl uns selbst als auch anderen zugute kommen, ausgehend von der Erkenntnis, dass kein menschliches Wesen in der Gesellschaft ohne die Hilfe anderer überleben kann. Einer der Lehrer, die einen grundlegenden Einfluss auf meine Entwicklung hatten, war JS Penor Rinpoche, ein bedeutender Lehrer der Nyingma-Schule und der Wurzellehrer von Dolpo Tulku Rinpoche. Wir kommunizierten mithilfe von Übersetzern, da ich kein Tibetisch spreche, aber was mich am meisten an ihm inspirierte, war nicht nur das, was er sagte, sondern vor allem, wie er sich im täglichen Leben verhielt und handelte. Penor Rinpoche war bei allem, was er tat, in jeder Situation – ob bei formellen Zeremonien oder zwanglosen Gesprächen – stets präsent. Meine kurzen Aufenthalte im Goldenen Tempel in Bylakuppe, der von Rinpoche gegründet wurde und in dem er Belehrungen übertrug, boten mir auch die Gelegenheit, Dolpo Tulku Rinpoche kennenzulernen, einen edlen Freund, mit dem ich nun in Verbindung getreten bin. Gemeinsam planen wir, das Shanta Vana Zentrum im Böhmischen Paradies in der Tschechischen Republik weiter zu entwickeln und auszubauen.
Meine Freundschaft mit Dolpo Tulku Rinpoche begann vor etwa zwanzig Jahren im Goldenen Tempel, der auch als Namdroling-Kloster bekannt ist, wo Rinpoche lebte und studierte. Von außen sieht das Kloster wie das Paradies auf Erden aus, aber die Lebensbedingungen für ausländische Besucher waren damals recht beschwerlich. Dolpo Tulku tat alles, um meinen Aufenthalt so erfreulich wie möglich zu gestalten. Er half mir in vielerlei Hinsicht – er zeigte mir den Ort, machte mich mit Mitschülern bekannt und half mir auch bei der Interpretation der empfangenen Belehrungen. Ich durfte sogar sein Zimmer mitbewohnen. In den folgenden Jahren blieben wir in Verbindung und besuchten uns häufig. Während meiner Lehrtätigkeit am Rangjung Yeshe Institute und am Shakya International Institute in Kathmandu besuchte ich Rinpoche in seinem Zuhause und hatte die Gelegenheit, seine Familie kennen zu lernen, die mir nach wie vor sehr nahe steht. Wir trafen uns auch während meiner Lehrtätigkeit an der Universität in Taiwan, wo Rinpoche buddhistische Lehren vermittelte. Während seiner Reisen nach Europa besuchte Rinpoche mehrmals das Shanta Vana Zentrum.
Bis heute dient Dolpo Tulku als Vorbild für die Verschmelzung der persönlichen spirituellen Praxis mit der Praxis zum Wohle anderer Wesen. In unseren Gesprächen widmet er sich sowohl spirituellen als auch praktischen Themen gleichermaßen, und seine Aktivitäten führen immer zum Wohle aller fühlenden Wesen. Dieser Ansatz ermöglicht es ihm, jede Lebenssituation zu meistern. Als spiritueller Lehrer hat er den Respekt, die Unterstützung und die Freundschaft vieler Schüler gewonnen, nicht nur in seinem Heimatland Nepal, sondern auch an verschiedenen Orten weltweit. Seit vielen Jahren schätze ich Rinpoches Ansatz, die verschiedenen Aspekte einer unglaublich reichen buddhistischen Praxis harmonisch zu integrieren. Dolpo Tulku hat lange Zeit buddhistische Logik, Philosophie, Yoga, Kunst, Bauwesen sowie andere Disziplinen studiert und praktiziert, was unser Verständnis von Ganzheitlichkeit innerhalb der buddhistischen Weltsicht bereichert.
Eine positive Einstellung zum eigenen Leben und die Stärkung positiver Qualitäten in anderen ist das, was Freundschaft im buddhistischen Kontext ausmacht. Um Freundschaft kultivieren zu können, ist es notwendig, auch Liebe, Mitgefühl, Freude und Nicht-Anhaftung zu kultivieren. Jeder, der Dolpo Tulku Rinpoche begegnet, wird all diese Eigenschaften an ihm schätzen, so wie ich es tue. In Rinpoche finden wir zudem Großzügigkeit, Großherzigkeit, Furchtlosigkeit, Toleranz, persönliche Disziplin, praktische Veranlagung und Aktivitäten, die zum Wohle aller fühlenden Wesen führen. Ich glaube, dass dank all dieser Qualitäten und unseres gegenseitigen Respekts unsere Freundschaft und unsere gemeinsame Arbeit zum Aufblühen des Shanta Vana-Zentrums führen können, was übersetzt so viel wie „Stiller Wald“ bedeutet. Warum?
Um zur Ruhe zu kommen, braucht man den richtigen Ort, die richtigen Menschen und die richtige Praxis, ausgerichtet auf das eigene Wohl und das der anderen ohne Unterscheidung. Ich schöpfe Hoffnung für die Zukunft aus der Überzeugung, dass unser Zentrum trotz der Herausforderungen, denen es in der Vergangenheit ausgesetzt war, weiterhin ein Zufluchtsort für diejenigen sein wird, die einen tieferen Sinn im Leben suchen. Unsere freundschaftliche Beziehung mit Dolpo Tulku Rinpoche basiert auf universellen Werten, die in der heutigen Zeit dringend gebraucht werden. Sie erfüllt mich mit tiefer Zuversicht, dass unser gemeinsames Projekt – das Shanta Vana Zentrum – erfolgreich sein wird.
Thomas Dhammadipa